„Unser Wissen über die deliberative Demokratie dekolonisieren“

Ist Deliberation, also die Beratung, bevor eine Entscheidung getroffen wird, universell? Ist sie wünschenswert? Ist unsere Art, sie in Europa zu konzeptualisieren und zu organisieren (zu stark) „westlich orientiert“? Und sind wir als Gemeinschaft bereit, uns die Antworten auf diese Fragen anzuhören? Sie verdienen es in jedem Fall, diskutiert und debattiert zu werden. Die beiden Forscherinnen und Expertinnen für demokratische Innovation Nicole Curato und Melisa Ross(1) rücken unsere Praktiken ins rechte Licht. Ein Interview.

Missions Publiques. Ihre Arbeiten beziehen sich auf die Deliberation auf der ganzen Welt. Ist Deliberation universell, oder handelt es sich dabei nur um ein reines „Produkt“, das vom Westen exportiert wird?

Melisa Ross: Die Antwort auf diese Frage hängt davon ab, wie wir Deliberation konzeptualisieren: Wenn wir sie aus akademischer Sicht betrachten, geht es dabei um eine Debatte, die unter streng kontrollierten Bedingungen stattfindet, bei der eine Gruppe ausgewählter Teilnehmer die Meinungen der anderen abwägen und berücksichtigen kann, um ein gemeinsames Ziel zu erreichen, nämlich einen Konsens durch öffentliche Argumentation.

Diese Definition impliziert jedoch gewisse Voraussetzungen, zum Beispiel den gleichberechtigten Zugang zum öffentlichen Raum, Normen für die Argumentation und die Diskurs-Strukturen, und sie ignoriert die sehr realen materiellen Ungleichheiten, die verhindern können, dass sich die Menschen in solchen Räumen engagieren, weitgehend.

Wenn wir Deliberation jedoch eher als eine Form des demokratischen Austauschs verstehen, denken wir vielmehr an eine menschliche Fähigkeit, die schon lange vor der Entstehung dieser wissenschaftlichen Definitionen existierte und die auch danach bestehen bleiben wird.

Daher geht es vielleicht nicht um die Frage, ob Deliberation universell ist, denn sie ist Teil der geteilten menschlichen Erfahrung und findet in vielen verschiedenen Formen und Kontexten statt. Es geht vielmehr darum, warum wir der „realen“ Deliberation, die auf der ganzen Welt effektiv stattfindet, nicht dieselbe Aufmerksamkeit geschenkt haben.

Nicole Curato: Ich stimme Melisa zu, Deliberation im weiteren Sinne findet an vielen Orten auch außerhalb des Westens statt. Das Buch Deliberative Democracy in Asia liefert beispielsweise viele historisch begründete Beispiele zu der Art und Weise, wie inklusive Beratung in asiatischen Gesellschaften lange Zeit häufig als kollektiver Entscheidungsmechanismus genutzt wurde, noch bevor Wahlen eingeführt wurden. Die Deliberation kann je nach Ort, an dem sie stattfindet, ein anderes „Look and Feel“ haben, und unsere Aufgabe als Forscher*innen und Verteidiger*innen der deliberativen Demokratie ist es, die Pluralität des Ausdrucks der Deliberation zu zelebrieren, und nicht, ein ideales Format für eine „gute Deliberation“ vorzugeben.

 

Missions Publiques. Gemäß Ihrer Argumentation bedeutet das also, dass wir, wenn wir im akademischen Bereich und im „Globalen Norden(2)“ über Deliberation sprechen, an eine formalisierte und institutionalisierte Deliberation denken …

Melisa Ross: Ja, und das impliziert mindestens zwei Merkmale: Erstens, dass die Teilnehmenden gleichberechtigten Zugang zu Informationen und einem Raum für Debatten haben, und zweitens, dass sie auf gewisse Weise das soziale Gebilde als Ganzes vertreten.

Wenn wir uns jedoch die bestehenden öffentlichen Ressourcen für jene, die deliberative Prozesse umsetzen möchten, näher anschauen, wird die Liste der grundlegenden Prinzipien allerdings schnell länger: die OECD identifiziert mindestens elf Prinzipien für die Implementierung von qualitativ hochwertigen deliberativen Prozessen.

Betrachten wir Deliberation also nicht als bestehende Form der Organisation und des demokratischen Austauschs in den Gemeinschaften, dann reduziert sich die Zahl der Prozesse, an die wir denken, schnell, wenn wir diese beiden Elemente als Herzstück der Deliberation ansehen. Wir denken jetzt an sehr spezifische Formen des Austauschs, die unter sehr restriktiven Bedingungen stattfinden können und die in anderen Kontexten außerhalb von reichen Ländern und Gesellschaften mit vielen Ressourcen extrem schwer zu realisieren sind.

In der Praxis zeigt sich dies durch ein stärkeres Interesse an den materiellen Bedingungen, die es ermöglichen, diese Räume des Austauschs zu schaffen, wie beispielsweise die Garantie von unabhängiger Expertise und professionelle Vermittlung, die Wahl von barrierefreien Gebäuden oder Plattformen, damit dieser Austausch stattfinden kann, und vor Kurzem haben wir beim Global Assembly(3) die Bereitstellung von Lösungen wie Simultandolmetschen für die Teilnehmenden gesehen.

Zufallswahlen als Vertretungs- und Legitimitätsgarantie bei der Deliberation nehmen zu. Dies kann zu zwei Problemen führen: erstens dazu, dass dynamische Formen der Teilhabe und der Deliberation außerhalb des Globalen Norden ignoriert werden, weil sie diesen Prinzipien nicht entsprechen, und zweitens, zu dem Versuch, die formelle und institutionelle Deliberation zu entwurzeln, die diese Prinzipien in Kontexten widerspiegelt, in denen sie wenig Sinn ergeben, die bestehende Formen des Regierens auf Gemeinschaftsebene ignorieren, oder sogar dazu, dass die Effekte jener, die in den Regionen und vor Ort arbeiten, zunichtegemacht werden.

Nicole Curato: Ich bin ebenfalls tief besorgt darüber, dass einige Menschen die „deliberative Demokratie“ mit Zufallswahlen oder deliberativen Kleingruppen gleichsetzen. Das ist eine Schande, denn ein großer Teil unserer Aufgabe als Verteidiger*innen der deliberativen Demokratie besteht darin, zu überlegen, wie wir unseren öffentlichen Raum verändert können und wie er sensibler für gute Argumente werden kann, wie er Minderheitenstimmen Gehör schenken kann. Zu unserer Aufgabe gehört es auch, über die Vorschriften und die Verantwortung von großen Tech-Unternehmen nachzudenken, die die öffentlichen Debatten, die hauptsächlich online stattfinden, heutzutage gestalten, oder über die politische Ökonomie der globalen Medien, die die Wirtschaftsinteressen zulasten des Gemeinwohls fördern. Ich kenne viele Partisan*innen der deliberativen Demokratie, die in diesem Bereich arbeiten, und hoffe, dass auch diese Stimmen stärker werden.

logisch, dass die Bürger*innen außerhalb von geordneten Sälen, erleichterten Debatten und rationalen Expertenbeiträgen versuchen, Wandel herbeizuführen.

Melisa

Missions Publiques. Die OECD untersucht hunderte von deliberativen Prozessen. Bedauern Sie, dass der Bericht nicht auf die Bemühungen der Länder des Globalen Südens eingeht?

Melisa Ross: Ob freiwillig oder unfreiwillig, der „Globale Norden“ gibt den Rahmen für die Richtung vor, die die Welt einschlägt. Der Bericht der OECD(4) zu den Prinzipien der deliberativen Demokratie, der anhand der Prüfung von mehr als 570 deliberativen Prozessen, die in den Ländern des Nordens stattgefunden haben, erstellt wurde, kommt zu dem Schluss, dass die Deliberation als Option zur Beeinflussung der weltweiten Politik immer wichtiger wird.

Aus anderen Datenbanken erhalten wir jedoch andere Informationen. In der Datenbank LATINNO(5) sind für den Zeitraum 1990 bis 2020 beispielsweise 3 700 Fallbeispiele für Bürgerbeteiligung allein in Lateinamerika erfasst. Die Deliberation war in mindestens 43 % der Fälle das wichtigste Innovationsmittel. Nach unserem Wissen gibt es in Lateinamerika die meisten Deliberationen weltweit. 28 % dieser Tausende von Fällen beruhen auf der Bürgerbeteiligung, 24 % auf der digitalen Beteiligung und 5 % auf der direkten Wahl. Aber was ist mit diesen anderen bestehenden Möglichkeiten, um die Politik zu beeinflussen?

Wir untersuchen diese Prozesse nicht, auch nicht die Erfahrungen, aus denen wir Lehren ziehen. In Participedia(6), einer offenen und partizipativen Datenbank, bei der jeder Beiträge einsenden kann, sind circa 2 000 Fallbeispiele für verschiedene Formen von Beteiligung und Deliberation weltweit erfasst, die gemäß mehr als 350 verschiedenen Methoden stattgefunden haben und an denen über 800 Organisationen beteiligt waren. Es ist faszinierend zu sehen, wie einfallsreich Gemeinschaften in der ganzen Welt sind. Woran liegt es also, dass wir uns in Europa und in anderen westlichen Ländern weiterhin nur auf so wenige Fallbeispiele konzentrieren? Vor allem, wenn die Lehren, die wir daraus ziehen können, außerhalb der Länder des Nordens schwer anwendbar sind.

Das bedeutet nicht, dass die Prozesse in anderen Teilen der Welt hieb- und stichfest oder exemplarisch sind. Es kommt häufig vor, dass sie ihre Zwecke verfehlen, dass sie von anderen Kräften als den Bürger*innen zweckentfremdet werden, oder dass ihre Beschlüsse von den Regierungen und anderen Machtorganisationen komplett ignoriert werden. Aber das ist die chaotische Realität des Regierens, die Kluft zwischen den Gemeinschaften in der echten Welt, die ihre Bedürfnisse mitteilen, und der Art und Weise, wie versucht wird, sie zu erfüllen. Daher ist es nur logisch, dass die Bürger*innen außerhalb von geordneten Sälen, erleichterten Debatten und rationalen Expertenbeiträgen versuchen, Wandel herbeizuführen.

Nicole Curato: Bürgerbeteiligung und Deliberation, wie sie in Europa und im Westen stattfinden oder ausgeübt werden, sind ein echtes Ägernis! Als ich zum ersten Mal lernte, was „deliberative Demokratie“ ist, galt das, was ich den „Anstandsdiskurs“ nenne, als Beispiel, dem man folgen sollte. Einige sagten, dass die Beratungen des obersten Gerichts die ideale Form der Deliberation seien, während andere parlamentarische Debatten als weiteren Ort der Deliberation identifizierten.

Die deliberative Theorie präsentiert diese Orte selbstverständlich nicht länger als ideale Orte der Deliberation, erst recht nicht nach der feministischen Kritik, die diese Räume als Orte in Verruf gebracht hat, die gebildeten Männern und einer elitären Klasse vorbehalten sind. Im Lauf der letzten Jahrzehnte betrachtete die deliberative Theorie „alltäglichere“ Diskussionsräume wie soziale Medien, die Familie, den Küchentisch und andere Orte des Austauschs im häuslichen Bereich im Zusammenhang mit Frauen als dynamische Räume der Deliberation.

Ich hoffe auch, dass die Art und Weise, wie die Deliberation außerhalb der Parameter des „Diskurses des Anstands“ abläuft, mehr Anerkennung erhält. In meinem Heimatland, den Philippinen, finden die intensivsten und dynamischsten politischen Gespräche nicht in offiziellen Kongressräumen statt, sondern vor den Türen von Geschäften, wo sich die Arbeiterklasse, Hausfrauen und Arbeiter in prekären Arbeitsverhältnissen treffen, um ein Gläschen zu trinken oder einen Happen zu essen. Dabei tauschen sie sich lautstark über soziale Probleme und das, was getan werden kann, um die Gesellschaft zu verändern, aus, mal in einem legeren, aber ehrlichen Ton, mal vulgär, mal reflektiert. Diese informellen Orte der Deliberation sind in einem öffentlichen Raum, in dem die Eliten die Machtbereiche dominieren, essenziell.

 

Missions Publiques. Warum kann es abträglich sein, ein Modell oder Normen für deliberative Prozesse vorzugeben?

Melisa Ross: Es gibt zahlreiche Möglichkeiten, Veränderungen umzusetzen, vor allem in Gemeinschaften und Kontexten, die nicht die Ressourcen des Globalen Nordens besitzen. Es ist einfach, lange Listen mit Normen und Standards zu erstellen, die nur mit großen Budgets erfüllt werden können, über die die meisten Organisationen, Regierungen und Gemeinschaften nicht verfügen. Stattdessen scheint es im Süden besser zu funktionieren, „mit dem zu arbeiten, was man hat“ und weiterhin auf das Engagement der Gemeinschaften zu setzen, die sich aus freien Stücken engagieren.

Einige westliche Gelehrte und Organisationen werben für sehr spezifische Formen der Deliberation als universelle Heilmittel für die demokratischen Leiden. Ich glaube nicht, dass diese „Heilmittel“ einfach transplantiert werden und außerhalb des Kontexts der ressourcenreichen Länder funktionieren können. Viel wichtiger ist jedoch, dass die Förderung dieser Art von Institution, ungeachtet der Auswirkungen solcher Verallgemeinerungen, zu sehr konkreten abträglichen Ergebnissen führen kann: So wie sich der Begriff „Bürgerbeteiligung“ in den 1990er-Jahren im Bereich der internationalen Entwicklungshilfe zu einem Modewort entwickelte und sich in die Bedingungen für internationale Kredite und Finanzierungen im Nonprofit-Bereich einschlich, sehen wir langsam, dass Bürgerversammlungen und Zufallswahlen zur neuen internationalen Norm für eine „gute“ Beteiligung werden. Weltweit stehen die Gemeinschaften vor ernsthaften Herausforderungen, um diese Normen zu erfüllen, bald könnten sie jedoch verpflichtet werden, Prozesse auf der Grundlage der Zufallsauslosung umzusetzen, als Bedingung für den Erhalt der Finanzierung, von der ihre Projekte und ihre kollektive Organisation abhängt.

Die Deliberation findet bereits statt, überall auf der Welt. Auch wenn sich einige Prozesse und Institutionen besonders gut zu konkreten Zwecken eignen, zum Beispiel Bürgerversammlungen und Kleingruppen, die die Öffentlichkeit repräsentieren sollen, steckt der soziale Wandel immer noch in den Kinderschuhen. Mein bescheidener Appel ist, auf die Orte zu blicken, in denen die deliberative Aktion bereits im Gang ist, zu beobachten und zu lernen, wie Gemeinschaften entstehen, wie sie florieren, wieder verschwinden und Chancen für neue Prozesse schaffen.

Nicole Curato: Ich glaube, dass die meisten Prozesse weltweit zu stark auf den Westen ausgerichtet waren, aber das ändert sich langsam. Melisa und ich und unsere Kolleg*innen aus der ganzen Welt haben dafür plädiert, unser Wissen zur deliberativen Demokratie zu „dekolonisieren“. Es geht nicht nur darum, anzuerkennen, dass es auch nicht-westliche Stimmen gibt, und dass wir diese Stimmen folglich in die Erarbeitung und die Umsetzung von politischen Konzepten integrieren müssen. Sondern es bedeutet auch, dass die Länder des Nordens den Luxus haben, im Bereich der demokratischen Prozesse zu innovieren, da ihre demokratischen Systeme auf der Ausbeutung der Gesellschaften des Südens und der indigenen Gemeinschaften beruhen.

In Australien haben mein Team und ich beispielsweise Bürger-Jurys im ehemaligen Parlament von Canberra organisiert. Die Idee war, dass die Teilnehmenden in den Sälen Platz nahmen, in denen sich früher, vor dem Umzug in das neue Parlamentsgebäude, die Abgeordneten berieten, und dass sie die „Macht“ der Deliberation spürten. Wir vergessen häufig, dass dieses Gebäude, in dem unsere Beratungen stattfanden, auf Land erbaut wurden, das den indigenen Völkern gestohlen wurde. Gegenüber dem ehemaligen Parlament steht die Zelt-Botschaft der Aborigines. Ich glaube, es handelt sich um die längste kontinuierliche Besetzung der Welt, sie soll bezwecken, dass man die Aborigines sieht, dass man ihre Existenz anerkennt, angesichts der von Landraub und der Gewalt während der Kolonialzeit geprägten Geschichte, die die indigenen Gemeinschaften fast ausgelöscht hat. Persönlich denke ich noch darüber nach, warum ich so lange gebraucht habe, um diese Situation als Problem anzuerkennen, und inwiefern ich eine Mitschuld an der ständigen Gewalt gegenüber den Kolonialvölkern trage. Ich sehe diejenigen, die im ehemaligen Parlament „demokratische „Innovation“ hervorbringen, ohne zu sehen, dass unsere demokratische Innovation nur möglich ist, weil wir Deliberationen über das gestohlene Land in Abrede stellen.

Lange bevor die Theoretiker der Demokratie die Wichtigkeit verteidigten, auf die Natur zu hören und diese in unsere Beratungen einzubeziehen, berieten die indigenen Gemeinschaften längst auf diese Weise.

Nicole

Missions Publiques. Um noch einmal zusammenzufassen: Der aktuelle Trend im Westen ist, Deliberation als Rahmen für den Umgang mit Problemen und die Entscheidungsfindung zu verstehen. Welche inspirierenden Beispiele für Deliberation konnten Sie in den Ländern des Globalen Südens beobachten?

Melisa Ross: Andere Prozesse weltweit haben mehrfach gezeigt, dass Deliberation nicht nur in vielen verschiedenen Formen und Kontexten stattfindet, sondern auch in anderen Schritten des politischen Prozesses. Die Deliberation ist weit mehr als eine Gruppe von Personen in einem Raum, die Empfehlungen debattieren, und dies ist in den weltweiten Datenbanken, die ich vorhin erwähnt habe, gut dokumentiert.

In LATINNO werden beispielsweise Fallbeispiele für Beteiligung und Deliberation erfasst, die in mehreren Schritten des politischen Zyklus stattfinden, von der Definition des Problems bis zur Bewertung und den Lehren, die man daraus zieht. Es kann sich um Räume handeln, in die man eingeladen wird, die von Regierungen geschaffen werden, zum Beispiel einberufene Räte, um in spezifischen Politikbereichen mitzuregieren, etwa bei den Rechten von LGBTQI+ oder dem Arbeitsgesetz. Aber es gibt auch andere Beispiele, in denen Gemeinschaften mitregieren, mit, ohne oder trotz des Staates, zum Beispiel im Rahmen des Umweltschutzes oder der partizipativen Planung(7). Das ist beispielsweise in China der Fall, das nach partizipativen Budgetprozessen giert, mit der Unterstützung und eingerahmt durch die chinesische kommunistische Partei.

Besonders faszinierend finde ich bestimmte Institutionen, die von Bürger*innen geleitet werden, um dezentralisierte Dienste gemeinsam zu verwalten. Das ist beispielsweise für die Gemeinschaften in Lateinamerika sehr typisch, wo häufig keine Wasser- und Stromversorgung vorhanden ist, weil sich der Bau von Infrastrukturen für die Unternehmen nicht lohnt. Dort nehmen die Gemeinschaften die Dinge selbst in die Hand, ganz normale Bürger lernen durch deliberative Aktionen, wie man komplexe Infrastrukturen verwaltet, zum Beispiel Wasseraufbereitungsanlagen und Trinkwasserverteilsysteme. Die Gemeinschaften benötigen keine Zufallswahl, sie entwickeln Lösungen für ihre dringlichen Probleme, indem sie sich auf die menschliche Fähigkeit stützen, sich untereinander auszutauschen, Optionen abzuwägen, kollektive Entscheidungen zu treffen und umzusetzen.

Nicole Curato: In Australien ist der Wunsch, den Stimmen der indigenen Bevölkerung Gehör zu schenken und mehr darüber zu lernen, wie sie beraten und Entscheidungen treffen, groß. Lange bevor die Theoretiker der Demokratie die Wichtigkeit verteidigten, auf die Natur zu hören und diese in unsere Beratungen einzubeziehen, berieten die indigenen Gemeinschaften längst auf diese Weise. Wir können so viel von ihnen lernen.


(1) Nicole Curato ist Dozentin für politische Soziologie am Zentrum für deliberative Demokratie und globale Governance der Universität von Canberra (Australien). Melisa Ross ist Forscherin des Projekts Healthier Democracies, das von dem New Yorker Forschungszentrum Public Agenda geleitet wird. Mit ihren Beiträgen haben sie die Überlegungen des Fellows Program von Missions Publiques bereichert.
(2) Das Konzept des Globalen Nordens und des Globalen Südens (oder das Nord-Süd-Gefälle in einem globalen Kontext) wird verwendet, um die Länder nach sozioökonomischen und politischen Merkmalen zu gruppieren. Der Begriff des Globalen Südens wird häufig für die Regionen Lateinamerika, Asien, Afrika und Ozeanien verwendet.
(3) https://globalassembly.org/
(4) OECD-Bericht „Innovative Citizen Participation and New Democratic Institutions“, Catching the Deliberative Wave, Highlights 2020 (Bürgerbeteiligung und neue demokratische Institutionen, die deliberative Welle, Synthese 2020)
(5) https://www.latinno.net/en/
(6) https://participedia.net/
(7) Lesen Sie unser Interview mit Su Yun Woo „It might seem disconcerting to discuss democratic participation in authoritarian China“: https://missionspubliques.org/it-might-seem-disconcerting-to-discuss-democratic-participation-in-authoritarian-china/?lang=en
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