Konferenz zur Zukunft Europas: die Jugendlichen wollen Taten sehen

Caterina, Nicolas, Kacper und Matous … vier Jugendliche, die an der Konferenz zur Zukunft Europas teilgenommen haben. Wir haben sie in Brüssel beim Festival „Bürgerbeteiligung und deliberative Demokratie“ getroffen, das von der Europäischen Kommission organisiert wurde. Die Konferenz markiert einen Wendepunkt in ihrem Leben als Bürger Europas. Künftig erwarten sie, dass die Institutionen die Erwartungen erfüllen, die diese einzigartige Veranstaltung geschürt hat.

„Frischer Wind“

Caterina lebt in einer kleinen Stadt an der kroatischen Küste. Sie ist 25 Jahre alt und hat Wirtschaft und internationale Beziehungen in Österreich und in Italien studiert. Ihre Mutter ist Kroatin, ihr Vater Italiener, und Caterina ist überzeugte Europäerin, nicht nur wegen ihrer doppelten Kultur. Die junge Frau engagierte sich ehrenamtlich in einem Verein für europäische Solidarität und arbeitet heute für den Verein Youth in the EU, der Europa in den Schulen und bei verschiedenen Veranstaltungen bei Jugendlichen fördert. „Die Jugendlichen kennen die Möglichkeiten nicht, die Europa bietet. Information ist der Schlüssel meiner Arbeit und ein leistungsstarkes Instrument für das Empowerment. Indem ich sie informiere, kann ich ihnen andere, unerwartete Perspektiven eröffnen». Wie blicken die Jugendlichen in Kroatien auf Europa? „Die Haltungen reichen von Skepsis bis Unkenntnis, die meisten fühlen sich jedoch vom europäischen Raum isoliert. Sie nehmen Europa nur durch Investitionen in Infrastrukturen wahr, beispielsweise den Bau einer Brücke oder die Renovierung einer Burg.“

Caterina hat ohne zu zögern zugestimmt, die Empfehlungen ihres Landes bei den Plenumssitzungen auf der Konferenz zur Zukunft Europas zu präsentieren und zu vertreten(1). Eine einzigartige Rolle als dBürgerin und „nationale Vertreterin“, die ihr vom Außenministerium ihres Landes anvertraut wurde. Das einzige, was sie bedauerlich findet, ist die „Trennung“, die sie zwischen den Mitgliedern des Panels und den 27 nationalen Vertretern gespürt hat: „Wir waren von Anfang an nicht Teil derselben Dynamik und die Treffen wurden etwas spät organisiert (…) wir nahmen an den Plenarsitzungen teil,(2) ohne wirklich zu wissen, was zuvor diskutiert worden war“. Ein Jahr lang organisierte sie lokale Dialoge mit Jugendlichen in Kroatien und nahm daran teil, häufig ging es um Umweltthemen und um das Klima.  Sie findet, dass es „mutig“ war, die Bürgerinnen und Bürger in die Institutionen einzuladen, und sie erstmals so stark in europäische Fragen einzubeziehen. Auch die Qualität der konkreten Vorschläge der Bürgerinnen und Bürger, die in direktem Zusammenhang mit ihrem Alltag stehen, hat sie beeindruckt. „Der Austausch und die Vernetzung zwischen jenen, die die Politik machen, und jenen, für die diese Politik bestimmt ist, sind sehr wichtig. In dieser Hinsicht hat es sich angefühlt wie ein Hauch von frischem Wind.“ Persönlich freut sie, dass die Besonderheit der Inselregionen in den abschließenden Empfehlungen berücksichtigt wurde. In einem Land, das aus 1 400 Inseln besteht, war ihr die Aufnahme dieses Aspekts wichtig. Auch im Hinblick auf die Funktionsweise der europäischen Institutionen hat es die Konferenz zur Zukunft Europas Caterina ermöglicht, „die Komplexität der Entscheidungsprozesse“ zu verstehen, die sehr langwierig und oftmals nicht mit dem Tatendrang der Jugend und der Dringlichkeit der Umweltfragen kompatibel sind.

Ich habe erfahren, dass unsere Generation, die angesichts des Klimawandels sehr besorgt ist, „Gloomers“ genannt wird.(3). Ich bin jedoch eine unverbesserliche Optimistin. Ich hoffe, dass Europa agiler wird, weniger bürokratisch, dass es stärker antizipiert anstatt nur zu reagieren.“

Der Austausch und die Vernetzung zwischen jenen, die die Politik machen, und jenen, für die diese Politik bestimmt ist, sind sehr wichtig. In dieser Hinsicht hat es sich angefühlt wie ein Hauch von frischem Wind.“

Caterina

25 Jahre

Die Regierungen der einzelnen Länder müssen stärker eingebunden werden

Nicolas war einer der Jugendlichen, die an der Konferenz zur Zukunft Europas teilgenommen haben. Er war 16 Jahre alt. Ein Jahr später lebt Nicolas immer noch in der Tschechischen Republik und geht aufs Gymnasium. Zurzeit geht er – wie die meisten Jugendliche in seinem Alter – am liebsten mit seinen Freunden weg und verreist.

Eines Tages erhielt er auf dem Rückweg von der Schule einen Anruf und erfuhr, dass er für die Teilnahme an der Konferenz ausgewählt wurde. Erst kam ihm die Sache verdächtig vor und er wollte der Person am anderen Ende des Hörers nicht recht glauben, auch seine Mutter reagierte zunächst alles andere als begeistert: „Gib ihm bloß nicht meine Kreditkartendaten!“ Das Projekt konkretisierte sich, als Nicolas eine E-Mail von der Europäischen Union erhielt: „Das war ein tolles Gefühl, ich habe geweint, auf mich wartete eine ganz besondere Erfahrung! Für mich war die Auslosung die Chance, Menschen aus allen Ländern und hochrangige Politiker zu treffen“. Was wusste er damals über Europa? Nicht viel: „Ich wusste nur, dass die Tschechische Republik Teil der europäischen Union ist. Ich interessierte mich nicht sonderlich dafür.“ Die Konferenz erweiterte seine Perspektiven: „Ich habe sehr viel über die Institutionen, die Projekte und die Möglichkeiten gelernt, die sich Jugendlichen ab 18 bieten.“ Die Überrepräsentation der Jugendlichen war für die drei großen Institutionen (Europäische Kommission, Europäisches Parlament und Rat) von Anfang an eine Herausforderung, und von den 800 Bürgerinnen und Bürgern, die per Zufall ausgelost wurden, war ein Drittel zwischen 16 und 25 Jahre alt. Hat es sich ausgezahlt? Wurde die Stimme der Jugendlichen, sofern sie denn existiert, gehört? Nicolas bejaht, auch wenn er gerne noch mehr minderjährige Teilnehmende gesehen hätte. Er findet, dass es bei den Debatten keine Kluft zwischen der jungen Generation und den älteren Bürgerinnen und Bürgern gab und dass sie sich gegenseitig zugehört haben. In seiner Arbeitsgruppe wurde er bei den Plenarsitzungen zum Sprecher ernannt(4), worauf er sehr stolz ist.

Ein Thema liegt Nicolas besonders am Herzen: die Zahngesundheit. „In der Tschechischen Republik sind zu viele Zahnärzte selbstständig tätig. Sie sind für viele Menschen viel zu teuer (…) Bei meinen Recherchen und den Gesprächen in meiner Arbeitsgruppe ist mir aufgefallen, dass dies ein europaweites Problem ist“. Bei der Klimafrage hat er jedoch seine Zweifel. „Alle waren sich im Hinblick auf die Bedeutung des Themas einig, aber ich hatte den Eindruck, dass es von den Entscheidern in den Plenarsitzungen nicht wirklich ernst genommen wurde“. Nicolas findet es schade, dass das Abenteuer jetzt zu Ende ist, und er hofft, dass die europäischen Institutionen konkrete Taten auf die Empfehlungen folgen lassen, denn die Tschechische Republik, die seit Juli den Ratsvorsitz der Europäischen Union innehat, zeigte sich angesichts einer Änderung der Verträge (eine der Empfehlungen der Bürgerpanels) eher zurückhaltend. Er wünscht sich auch, dass die Schulen in seinem Land ihren Teil dazu beitragen, die Kenntnisse über Europa zu vergrößern.

Ein Jahr der Debatten und der Begegnungen im Zentrum eines völlig neuen Prozesses haben den jungen Mann verändert: Er hat Freundschaften mit Menschen aus allen Teilen Europas geschlossen und Lust bekommen, sich politisch zu engagieren.

Ich habe sehr viel über die Institutionen, die Projekte und die Möglichkeiten gelernt, die sich Jugendlichen ab 18 bieten.“

Nicolas

16 Jahre

„Es gibt nicht genügend Meinungsvielfalt in Europa“

Matous, 20 Jahre, kommt ebenfalls aus der Tschechischen Republik, genauer gesagt, aus der Stadt Litoměřice. Er studiert Recht und Lehramt und ist Trainer in einem Ruderverein. Seine Mutter ist Ärztin und sein verstorbener Vater war beim Militär. Er kann sich nicht vorstellen, später nur einen einzigen Beruf auszuüben, Richter oder Diplomat kämen für ihn als Berufe in Frage, aber nicht nur. Auch ein Engagement in einer politischen Partei schließt er nicht aus.

Er findet, dass zu viele Leute Europa und die Europäische Union verwechseln. Auf der Konferenz zur Zukunft Europas hat er den Unterschied erfahren und „verstanden, was die EU für uns macht“. Weder verändert noch überzeugt, Matous hat eine etwas andere Sicht als die anderen Jugendlichen: „Ich würde mich als konservativ bezeichnen.“Die Konferenz war aus persönlicher Sicht genial, das heißt, für meine Erfahrung, um meine Kompetenzen zu testen (…), aber letztendlich müssen meiner Meinung nach die Politiker entschieden, schließlich wählen wir sie, weil sie unsere Meinung vertreten“. Auch wenn viele Politiker die Maßnahmen, für die sie gewählt wurden, nicht immer umsetzen, glaubt Matous nicht, dass mehr Konferenzen für und mit den Bürgerinnen und Bürgern die Politik verändern werden, das ist seiner Meinung nach nur durch bessere politische Konzepte möglich.

Ich war mit den Abschlussempfehlungen nicht wirklich zufrieden, bei vielen hatte ich Zweifel, weil die Bürgerinnen und Bürger den Konsens gewählt und sich nicht getraut haben, ihre abweichende Meinung im Plenum zu verteidigen.“ Matous, der der Arbeitsgruppe zur Demokratie angehörte, bereut, dass die Konsensbereitschaft die Uneinigkeiten während des Austauschs verwischt hat, und dass die Zustimmung einer relativen Mehrheit immer den Ausschlag gegeben hat.

Die Teilnehmenden der Panels waren nicht repräsentativ für die Vielfalt der Meinungen zu Europa. Diejenigen, die sich zur Teilnahme bereiterklärt hatten, waren eher europafreundlich gesinnt. Aber was versteht man wirklich unter dem Begriff Einheit? Auf die Frage nach dem Euro, den Preisen und den Steuern habe ich keine Antwort erhalten. In der Tschechischen Republik wollen wir den Euro im Moment nicht, denn wir würden nur verlieren, vor allem bei den Löhnen“.

Auch wenn er nicht vollständig von der Effizienz eines Formats in diesem Maßstab überzeugt ist, möchte er kleinere Formate in der Tschechischen Republik auf einer lokaleren Ebene testen, die von der Landesregierung initiiert werden, wie in Frankreich. Wie Kacper, ein junger Pole in den 20ern, der erst nicht kommen wollte, weil Polen „das schwarze Schaf der EU“ ist, und der „die fehlende Medienberichterstattung in den Mitgliedsländern“ bedauert.

Die Europäische Union verlassen? Das steht nicht zur Debatte, auch wenn sich die Befürworterstimmen in ihren Ländern mehren.

Ich war mit den Abschlussempfehlungen nicht wirklich zufrieden, bei vielen hatte ich Zweifel, weil die Bürgerinnen und Bürger den Konsens gewählt und sich nicht getraut haben, ihre abweichende Meinung im Plenum zu verteidigen.

Matous

20 Jahre

Die Konferenz zur Zukunft Europas in Zahlen

  • Insgesamt wurden in den 27 Mitgliedsstaaten 6 465 Veranstaltungen organisiert, an denen 652 532 Personen teilnahmen. Eine Online-Plattform in allen offiziellen Sprachen, die fünf Millionen Mal aufgerufen wurde, und 52 346 aktive Teilnehmende, die darauf 17 671 Ideen geteilt und 21 877 Kommentare hinterlassen haben.
  • Nationale Bürgerpanels in sechs Ländern: Belgien, Frankreich, Deutschland, Italien, Litauen und den Niederlanden.
  • Die Empfehlungen der europäischen Bürgerpanels wurden von der Plenarversammlung der Konferenz, die zu gleichen Teilen aus Vertreterinnen und Vertretern der drei Institutionen und Vertreterinnen und Vertretern der nationalen Parlamente sowie aus Bürgerinnen und Bürgern und Vertreterinnen und Vertretern der Sozialpartner und der Zivilgesellschaft bestand, ausgewertet und zusammengefasst.
  • Der Schlussberichtwurde in Zusammenarbeit mit der Plenarversammlung der Konferenz von einem Exekutivrat aus neun Vertreterinnen und Vertretern des Parlaments, der Kommission und des Rates verfasst. Insgesamt umfassen die Schlussfolgerungen der Konferenz mehr als 320 Maßnahmen, verteilt auf 49 Vorschläge zu neun großen Themen.

(1) Die Konferenz zur Zukunft Europas steht für: Eine Online-Konsultation auf einer mehrsprachigen Plattform, per Zufall ausgewählte Bürgerinnen und Bürger (4 Panels aus jeweils 200 Bürgerinnen und Bürgern zu verschiedenen Themen), nationale Vertreterinnen und Vertreter der 27 EU-Länder und nationale Veranstaltungen, die in jedem Land organisiert werden. Weitere Informationen stehen in unserer Projektbeschreibung zur Verfügung.
(2) Die Plenarsitzungen boten Gelegenheit für Diskussionen zwischen den Politikerinnen und Politikern der Institutionen, den Bürgerinnen und Bürgern, die als „Botschafterinnen und Botschafter“ Teil der Panels waren, und den 27 nationalen Vertreterinnen und Vertretern.
(3) Ein „Gloomer“ ist eine missmutige, verdrossene Person. Der Ausdruck bezeichnet junge Erwachsene in den 20ern, die kein Ziel und keine Ambitionen im Leben haben, aber trotzdem weiterleben.
(4) Bei den Plenarsitzungen waren zu gleichen Teilen Vertreterinnen und Vertreter der drei Institutionen und Vertreterinnen und Vertreter der nationalen Parlamente vertreten, sowie Bürgerinnen und Bürger und Vertreterinnen und Vertreter der Sozialpartner und der Zivilgesellschaft.
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